Ausgabe Nr. 38 - Oktober 2001
Alte Druckausgaben des Hertha-Freund in unserem Online-Shop bestellen
Der Hertha-Freund erscheint im
Zurück zur Ausgabenübersicht
Zurück zur Startseite
Anzeige:
|
Ein Titel für die Fans
(von Harald Voß)
Was war das für eine Freude. Hertha BSC hat nach der deutschen Meisterschaft 1931 endlich wieder einmal einen nationalen Titel errungen. Auch wenn es "nur" der eher unbedeutende Ligapokal war, so haben doch daran unstreitig die besten Teams der letzten Saison teilgenommen und Hertha BSC konnte ihn gewinnen! Für uns Fans bedeutet das etwas. Und dann vor allem auch die Art und Weise, wie es zu diesem Titel gekommen ist: mit wirklich überragendem Fußball. Der Vizemeister und Pokalsieger wurde im Endspiel in Mannheim förmlich an die Wand gespielt - grandios!
Da ist es natürlich kein Wunder, dass die Fans mehr wollen. Mehr Titel, mehr tollen Fußball. Und die Situation schien günstig: Die Teams, die man allgemein derzeit noch als stärker als Hertha BSC eingeschätzt hatte, also Bayern München, Schalke 04, Borussia Dortmund oder Bayer 04 Leverkusen, sind allesamt in der Champions-League beschäftigt, Hertha BSC, "nur" im vergleichsweise einfachen UEFA-Pokal. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, wie sehr eine Teilnahme an der Champions-League auf die Form in der Bundesliga drückt, nicht zuletzt Hertha BSC aber auch der Hamburger SV, selbst Bayern München mussten spüren, was es bedeutet, binnen 3 Wochen 6 mal abwechselnd Bundesliga und Champions-League auszutragen. Sowohl Hertha BSC als auch der Hamburger SV stürzten in der Phase der Champions-League-Teilnahme in der Bundesliga richtig ab, konnten sich erst nach dem Ausscheiden etwas erholen. Beim späteren Champions-League-Sieger Bayern München häuften sich ausgerechnet vor schwierigen Champions-League-Spielen die Niederlagen in der Bundesliga. Dass die Bayern trotzdem Deutscher Meister werden konnten, lag eher an der Schwäche der anderen Teams denn an der eigenen Stärke.
So war die Hoffnung, dass Hertha BSC möglicherweise von den großen Belastungen der Konkurrenten profitieren könnte, nachdem man ja bereits im vergangenen Jahr eine ganze Weile mal Spitzenreiter-Luft hatte wittern dürfen (übrigens genau zur Zeit der Champions-League-Vorrunde), so abwegig nicht. Nachdem man sowohl Meister, Vizemeister und Pokalsieger sowie den Meisterschaftsvierten im Ligapokal teilweise bravourös hatte schlagen können, sollte das Team in der Lage sein, mit etwas Glück...
Auch die Spieler fassten Mut und redeten bereits öffentlich von der Meisterschaft, einige Fans organisierten schon die ersten Meisterfeten und nun?
Ganz hart sind wir mittlerweile auf dem Boden der Realität wieder angekommen. Momentan belegt der Verein nach dem 7. Spieltag den 13. Tabellenplatz, hat gerade einmal 3 Punkte Vorsprung vor einem Abstiegsplatz. Zum Spitzenreiter Kaiserslautern beträgt der Rückstand dagegen bereits 13 Zähler!
Den Gedanken an eine mögliche Meisterschaft haben wir schnell beiseite gelegt, mittlerweile schauen wir bereits besorgt nach unten. Freilich, die ganze Umgebung, die Presse, die Verantwortlichen - keiner macht sich derzeit so richtig Sorgen. Zu frisch sind die Eindrücke vom Ligapokal, eigentlich weiß man ja, dass diese Mannschaft Fußball spielen kann, es ist bestimmt nur Pech und irgendwann kommt dann auch die Serie, die Hertha BSC wieder in höhere Regionen bringt. Doch was ist, wenn diese Serie ausbleibt?
Jetzt den Trainer in Frage zu stellen, führt nicht zur Lösung des Problems. Ohne Trainer geht es nicht, also braucht man einen neuen. Nur einen neuen Trainer zu verpflichten, kostet aber in erster Linie auch nur neues Geld, einen besseren Trainer hat man dadurch noch lange nicht. Man hat es am Beispiel des Hamburger SV gesehen, wie wenig die in der Bundesliga weit verbreitete Praxis des "Trainerfeuerns" bringt. Wohl selten hat der Hamburger SV so hoch im eigenen Stadion verloren wie nach dem Trainerrausschmiss von Frank Pagelsdorf. Anstatt dass ein Ruck durch die Mannschaft geht, versagt das Team vollends und der HSV ist jetzt um 4 Millionen Mark ärmer, aber einen neuen Trainer hat man noch nicht einmal. Fieberhaft werden jetzt die Märkte abgegrast, um irgendwo irgendeinen Trainer aufzutreiben, der gerade mal Lust hat, sich eine Abfindung zu verdienen - denn der nächste Trainerrauswurf ist geradezu vorprogrammiert, wenn man während der Saison eine Mannschaft übernimmt, die man nicht selbst konzipiert hat. Die wirklich guten Trainer sind so natürlich nicht zu bekommen, die haben in der Regel einen laufenden Vertrag, aus dem sie nicht so einfach aussteigen.
Und so behalten die Verantwortlichen in Berlin zu Recht einen kühlen Kopf, denn sie wissen, dass sie mit Jürgen Röber einen guten Trainer haben. Das wirkliche Problem des Teams liegt nicht am Trainer, sondern vielleicht einfach nur an den zu hohen Ansprüchen des Umfeldes, ja auch des Vorstandes. Der Anspruch des Vereins, attraktiven, offensiven Fußball zu spielen wurde immer wieder von allen Gremien des Vereins wiederholt. Man war der Meinung, dass eine Stadt wie Berlin etwas anderes nicht akzeptiert. Nach dieser Maßgabe wurde die Mannschaft zusammengestellt, wurden Jahr für Jahr immer wieder Spieler mit besonderen technischen Fähigkeiten verpflichtet, ausgerichtet auf eine möglichst offensive Spielweise. Auf der Strecke geblieben ist dabei etwas der defensive Part, inzwischen beherbergt der Kader von Hertha BSC so viele überdurchschnittliche Spieler, vor allem im Mittelfeld, dass man manchmal den Eindruck hat, es gebe nur noch Häuptlinge, keine Indianer mehr. Da ist es dann kein Wunder, wenn man oft das kämpferische Element, das Aufbäumen des Teams nach einem Rückstand, den absoluten Willen, ein negatives Ergebnis noch einmal zu drehen, vermisst.
Im gleichen Maße, wie man die Mannschaft verstärkt hat, ging auch durch Preiserhöhungen, Platznummerierung und ähnliches eine Wandlung des Publikums vor sich. Weg von dem eher sozial schwachen, aber dem Verein emotional eng verbundenen, eingefleischten Fan, hin zu einer Art "Theaterpublikum". Eine zahlungskräftige Klientel, die aber für ihr Geld auch höhere Ansprüche stellt. Ein Publikum, das Leistung sehen will, das sich die Topspiele herauspickt und viel eher bereit ist, auch die eigene Mannschaft auszupfeifen.
Hinter all dem steckt Methode. Dieter Hoeneß hat auf einer seiner ersten Mitgliederversammlungen einmal gesagt, Hertha BSC müsse sich zu einer Marke entwickeln. Nur: unserer Meinung nach entwickelt sich der Verein zu der falschen "Marke"!
Hertha BSC war immer der Arbeiterverein. Der Verein aus dem dichtbevölkerten armen Wedding, im Gegensatz zu anderen, eher elitären Vereinen aus den sogenannten "besseren" Gegenden. Hertha BSC bewegte deshalb die Massen, auch wenn die Finanzen nicht immer rosig aussahen. Der Herthaner sagte "wir", nicht "die", wenn er von seinem Verein sprach. Diese emotionale Bindung geht mehr und mehr verloren.
Man spürt, dass dort unten auf dem Platz eben keiner "von uns" steht, der sich für seinen Verein abrackert, sondern gut bezahlte Millionäre, denen es vor allem um die Siegprämie geht, wenn sie den Platz betreten. Da geben einige Fans ihr letztes Geld dafür aus, um den Verein auch auswärts zu begleiten und zu unterstützen und dann haben es manche Spieler nicht einmal mehr nötig, sich von den Anhängern in der Kurve ordentlich zu verabschieden, beschimpfen die Fans gar, wenn einmal Pfiffe einiger weniger (gar nicht einmal der Masse) kommen. Auch wenn solche Reaktionen manchmal menschlich sicher verständlich sein mögen, so sind es doch die Fans, die (direkt über die Eintrittsgelder und indirekt über Werbung und TV-Gelder) die Spieler bezahlen und nicht umgekehrt.
Beschwerden des Vereins, dass die Fans kaum noch Stimmung machen, sind deshalb eher unangebracht, schließlich hat man das selbst mit herbeigeführt.
Als man 1996/97 in der Zweiten Liga die Preise in den Kurven auf einheitliche 10,- DM gesenkt hatte, war das eine beispiellos erfolgreiche Aktion. Plötzlich war das Spitzenspiel gegen den 1.FC Kaiserslautern ausverkauft - und das auch noch bei einem DSF-Montagsspiel! In jener Saison erreichte man einen Zuschauerschnitt von 17.529. So viele Zuschauer kamen seit dem Bundesligaabstieg 1983 nicht mehr zu den Hertha-Spielen, obwohl man zwischendurch 1990/91 sogar wieder ein Jahr in der 1. Bundesliga spielte.
Die Zeit nach dem Bundesligaaufstieg 1997 begründete schon fast eine Legende. Auch wenn das Stadion einmal nur halb besetzt war, die Kurven waren immer voll. Lücken fanden sich höchstens auf den "teuren Plätzen". Die Stimmung im Olympiastadion war einfach Wahnsinn. Zwischenzeitlich hatte man die Kurvenpreise dann auf 17,- DM erhöht und - viel gravierender - die freie Platzwahl im Stadion aufgehoben und überall eine feste Nummerierung eingeführt, wie vorher schon auf den Geraden. Dadurch wurde es so gut wie unmöglich, zusammen mit Freunden ins Stadion zu gehen. Stimmungs-machende Grüppchen konnten sich nun nicht mehr zusammenfinden, man war davon abhängig, wie der Kassencomputer einen platzierte, die Stimmung war dahin.
Mittlerweile hat man die Preise jetzt zwar wieder etwas zurückgenommen, doch die Platznummerierung ist geblieben. Während die meisten anderen Bundesligavereine nach der Abschaffung der Freitags- und Samstagabendspiele neue Dauerkartenrekorde melden konnten, verzeichnete Hertha BSC einen spürbaren Rückgang der Kartenverkäufe. Dies alles nur auf die Umbauphase im Olympiastadion zu schieben, ist zu einfach. Die Platznummerierung sorgt dafür, dass viele Zuschauer aus Frust, dass sie im Stadion nicht neben ihren Freunden und Bekannten sitzen dürfen, dann lieber gleich ganz zu Hause bleiben und sich das Spiel im Fernsehen ansehen, während die verbliebenen Fans oft nicht mehr bereit sind, sich für die Millionäre auf dem Platz zu verausgaben, derweil die Spieler selbst den nötigen Einsatz vermissen lassen. Ein Fan verzeiht spielerisches Unvermögen eines Spielers viel eher als fehlenden Einsatz. Fehler darf ein Spieler machen, aber nicht lustlos auf dem Platz herumstehen und sich dem Gegner ergeben.
|